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*** Gloria - Das Leben wartet nicht ***

ouatih kritik

Autor: Walter Hummer
 
Julianne Moore spielt eine Rolle, wie sie sie schon lange nicht mehr gespielt hat und das in einem Film wie man ihn schon lange nicht mehr gesehen hat.
 
Gloria, you’re always on the run now …
 
Gloria ist über Fünfzig, seit zwölf Jahren geschieden und lebt ihr Leben. Sie hat einen guten aber anstrengenden Job. Sie hat eine schöne Wohnung mit schwierigen Nachbarn. Sie hat ein gutes aber nicht einfaches Verhältnis zu ihren beiden erwachsenen Kindern. Abends geht sie gerne tanzen. Dabei lernt sie den erst seit kurzem geschiedenen Arnold (John Turturro) kennen. Die neue Partnerschaft bereichert Glorias Leben, macht es aber auch nicht einfacher ….
 
Seit ich als Bub meine erste verbilligte Nachmittagsvorstellung besuchen durfte, liebe ich das Kino. Aber wie bei jeder großen Liebe meines Lebens wird die Liebe nicht immer erwidert. Zumindest nicht immer im gleichen Maße. Klar, als ich neulich „Toy Story 4“ sehen durfte, fühlte ich mich durchaus geschätzt. Nach der Pressevorführung von „Fast & Furious: Hobbs & Shaw“ war mir klar, dass ich dem Kino zwar nicht komplett gleichgültig geworden bin, geliebt fühlte ich mich aber nicht. Und statt mir „Abikalypse“ anzutun, hätte es mir auch einfach in die Eier treten können. Mit „Gloria – Das Leben wartet nicht“ beteuert mir das Kino seine aufrichtige Liebe und ich weiß wieder, wir beide gehören für immer zusammen.
 

 
Warum erzähle ich das alles? Weil es in Sebastián Lelios erstem Hollywood-Film um Liebe geht. Und darum, wie wichtig Liebe ist. Jede Art von Liebe. Die Liebe zu anderen, wie der eigenen Familie oder einem Partner. Aber auch die Liebe zu sich selbst. Und wenn Liebe das Leben erst lebenswert macht, so macht sie das Leben trotzdem oft auch schwierig. Gloria, die Heldin dieses Films, hat in ihrem Leben bereits einiges über die Liebe gelernt. Im Lauf der Geschichte lernt sie trotzdem noch dazu ...
 
If everybody wants you, why isn’t anybody calling?
 
Dieser Film dreht sich um seine Heldin. Und diese ist eine ganz normale Frau. Nicht die Muse eines berühmten Malers, kein Porno-Star, keine FBI-Agentin, keine Wissenschaftlerin die Dinosaurier retten will, ... einfach eine ganze normale Frau, die sich in ihrem Leben durchaus eingerichtet hatte. Eine Frau die lieben will und geliebt werden möchte. Und Julianne Moore spielt diese ganz normale Frau, wie nur sie es kann. Erst ihre Darstellung macht diese Figur zur Heldin.
 
Im Kino sehen wir leider nur selten realistische Darstellungen liebender Frauen. Entweder sehen wir atemberaubende Frauen sich in den Helden verlieben weil er ganz viele Bösewichte getötet hat. Oder wir sehen bildhübsche Frauen mit Herzen aus Gold, die nie „den Richtigen“ finden. Oder wir bekommen Kunstfiguren mit tragischen Schicksalen im ganz großen Drama geboten. Auch Julianne Moore hat solche Rollen gespielt. Für die Darstellung einer Frau, die selbst im Kampf mit der Hollywood-Version von Demenz das Wort „Liebe“ nicht vergessen konnte, wurde Moore sogar mit dem Oscar ausgezeichnet.
 
Auch wenn man Sebastián Lelios Remake seines eigenen Films von 2013 natürlich ansieht, dass es in Hollywood entstanden ist, spielt der Film doch in einer realistisch wirkenden Welt. Und dort gibt es nicht bloß großes Drama und große, dramatische Gesten. In der Realität müssen Gefühle sich entwickeln. Menschen reagieren auf diese Entwicklungen. Und diese Entwicklungen und die Reaktionen fallen mal subtil und mal drastisch aus und mal irgendwie dazwischen. Julianne Moore spielt all das und noch viel mehr wunderbar vielschichtig.
 
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You really don‘t remember, was it something that he said?
 
In einer Szene liest Arnold Gloria ein Gedicht vor. Erst ist sie neugierig, dann lacht sie, dann verändert sich ihre Haltung und dann weint die Frau. Nachdem Arnold an sein Telefon gegangen ist, zeigt Gloria Entschlossenheit und gleichzeitig eine besorgte Verletzlichkeit. Julianne Moore spielt all das eindrücklich und doch natürlich, subtil und doch grandios. Bei ihr sind Emotionen nie einfach da, sie haben sich entwickelt, sie haben sich in ihr aufgebaut. Moore zeigt hier ihre beste Leistung seit langem.
 
Dabei helfen Ihr das Drehbuch und vor allem die Regie von Sebastián Lelio. Wie bereits bei seinem oscarprämierten Film „Eine fantastische Frau“ rückt er die Heldin inhaltlich und filmisch ins Zentrum seines Films. Die Hauptfigur wird meist in Halbtotalen gezeigt. Nur selten, etwa wenn Gloria morgens aufwacht, sehen wir sie in Nahaufnahme. Die Kameraführung wirkt, als würde Lelio seine Heldin wie ein seltenes Schmuckstück am ausgestreckten Arm ins Licht halten um sie besser bewundern zu können. So fühlen wir uns der Figur nahe und Moore kann doch mit ihrem ganzen Körper spielen.
 
Und wie sie mit ihrem Körper spielt. Julianne Moore ist nicht nur eine der interessantesten Darstellerinnen unserer Zeit. Sie ist auch noch eine der schönsten Frauen der Filmwelt. Und sie wirkt in diesem Film sinnlich wie selten zuvor. Aber Moore ist nie einfach nur sinnlich. Sie ist eine ganze, vollständige Frau und ihre Sinnlichkeit nur einer von vielen Aspekten dieser Person. Der Film endet mit einer langen Einstellung, in der wir Gloria wieder einmal tanzen sehen. Moore zeigt eine darstellerische Kür, wenn sie die ganze Komplexität ihrer Figur und die hinter ihr liegende Entwicklung in einer einzigen Szene ohne jeden Dialog vermittelt.
 
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All the voices in your head …
 
Auch wenn Julianne Moore fast alles an die Wand spielt, ist der Film doch extrem hochwertig besetzt. Brad Garrett, bei uns nur als Comedian bekannt, liefert in einer Szene sein eigenes kleines Drama ab. Michael Cera („Juno“) spielt einen jungen Vater am Limit. Rita Wilson („Schlaflos in Seattle“) ist in ihrer Paraderolle als beste Freundin zu sehen. Sean Astin („Der Herr der Ringe“) verunsichert uns in einer weitgehend stummen Rolle. Holland Taylor („Two and a Half Men“) gibt eine überzeugende Mutter.
 
Die Besetzung dieses Films ist so hochwertig, plötzlich dürfen wir Barbara Sukowa, Fassbinders „Mieze“ aus „Berlin Alexanderplatz“ und Margarethe von Trottas „Rosa Luxemburg“ und „Hannah Arendt“, in einer kleinen Nebenrolle bewundern.
 
John Turturro kennen die meisten Filmfans aus seinen unzähligen, komischen Nebenrollen in Blockbustern („Transformers“) und den Filmen der Coen-Brüder („Oh Brother, Where Art Thou?“). Dabei ist der Mann seit vielen Jahren einer der vielfältigsten und verlässlichsten Darsteller Hollywoods. Mit seiner stets nahbaren, zugänglichen Art zu spielen überzeugte er bereits vor Dreißig Jahren in Spike Lees frühem Meisterwerk „Do the right thing“. In „Gloria“ vermittelt er die Tragödie eines Mannes, der davon abhängig ist, dass andere von ihm abhängig sind.
 
Fazit
 
Ohne Julianne Moores Leistung hätten wir hier ein gelungenes Drama über die Liebe und das Leben. Julianne Moore macht diesen Film zu einem Kunstwerk.
 
 
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