*** Wunder ***

 
wunder kritik
 
Autor: Walter Hummer
Der elfjährige Auggie Pullman hat es nicht leicht im Leben. Stephen Chbosky erzählt in seinem neuen Film "Wunder" seine Geschichte. Leider macht es sich der Regisseur dabei manchmal ein bisschen zu einfach.
 
"Wähle die Freundlichkeit"
 
Auggie Pullmans Gesicht ist wegen eines Gendefekts schwer deformiert. Selbst nach einer ganzen Reihe plastischer Operationen können die Menschen sein Gesicht nicht ansehen, ohne erst mal wegsehen zu müssen. Bisher wurde der hochintelligente kleine Junge von seiner Mutter daheim unterrichtet. Aber nun beschließt sie, es sei Zeit für ihn, zusammen mit anderen Kindern die Schule zu besuchen. Daheim mit seiner Familie war für Auggie alles recht einfach.
 
Seine Eltern waren nur für ihn da. Seine Mutter (Julia Roberts) hat ihre Karriere aufgegeben, um sich um ihn kümmern zu können. Sein Vater Nate (Owen Wilson) hat sicher einen anstrengenden Job. Immerhin finanziert er damit unter anderem ein feines Stadthaus mitten in New York City. Trotzdem widmet er seine ganze Freizeit seinem Sohn. Und Auggies große Schwester Via (Izabela Vidovic) ist eine Heilige, die sich längst damit abgefunden hat, immer die zweite Geige zu spielen. Da ist es für Auggie natürlich erst recht schwierig, mit dem Mobbing in der Schule zu Recht zu kommen. Zum Glück findet er dort auch jede Menge neue Freunde.
 
 
Und hier haben wir auch schon das größte Problem dieser Geschichte. Es ist einfach alles zu einfach. Abgesehen von seinem verunstalteten Gesicht hat Auggie keine gesundheitlichen Probleme. Seine Mutter ist seit über einem Jahrzehnt nicht mehr erwerbstätig gewesen. Seine Operationen müssen ein Vermögen gekostet haben. Aber Auggies Familie lebt offensichtlich frei von finanziellen Sorgen. Seine siebzehnjährige Schwester ist ein Engel. Im realen Leben werden die meisten Teenager von ihren Eltern heutzutage mit Aufmerksamkeit überschüttet und bauen trotzdem dauernd Mist. Das ist ihr gutes Recht, immerhin sind sie Teenager. Aber in diesem Film dürfen wir davon ausgehen, dass Via noch nie auch nur mal heimlich auf einer Party ein Bier getrunken hat.
 
Direkt im Anschluss an den ersten zaghaften Kuss bringt sie ihren neuen Freund mit nach Hause, um ihn ihrer Familie vorzustellen. In Auggies neuer zeigen Lehrer und Direktor immer Verständnis und Rücksicht. Ja, Auggie wird von einem verzogenen kleinen Monster namens Julian gemobbt. Aber recht flott freundet sich jeder andere seiner Mitschüler mit Auggie an. Und am Ende zeigt sogar das verzogene kleine Monster, dass es seine Lektion gelernt hat. Die Dialoge klingen ganz gut, solange man nicht eine Sekunde über das nachdenkt, was die Schauspieler da vortragen. "Wenn Du die Wahl hast, ob du recht behalten oder freundlich sein sollst, wähle die Freundlichkeit." klingt wie eine großartige Maxime.
 
Wenn sich nur genug Leute daran halten, leben wir bald in einer Welt, in der unfreundliche Menschen immer Recht behalten. In einer anderen Szene erzählt Auggies Mutter ihm ernsthaft, die Falten in ihrem Gesicht stammten von den Sorgen die sie sich wegen seiner Operationen machen musste. Ich finde ja auch, meine Kinder sollten mir gegenüber ein schlechtes Gewissen haben. Aber sowas macht man doch subtiler.
 
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Nicht nur das Drehbuch, auch die Inszenierung erwecken manchmal den Eindruck, man sehe eine sehr lange Folge einer Fernsehserie. Der Soundtrack ist im besten Falle uninspiriert, an manchen Stellen sogar nervig.
 
"Wir könnten alle immerzu Masken tragen"
 
Der kleine Jacob Tremblay hätte bereits für "Raum" den Oscar verdient. Aber damals hat er zusammen mit Brie Larson eine wunderbare Leistung gezeigt. Hier rettet er hinter seiner Maske den gesamten Film praktisch im Alleingang.
 
Julia Roberts spielt Isabel, Auggies Mutter. Gendefekte scheinen bei ihr in der Familie zu liegen. Immerhin ist sie selbst halb Mensch, halb Wandkalender. Selten hatte eine Figur in einem Film mehr Kalenderweisheiten vorzutragen. Julia Roberts sieht dabei niemals müde, niemals erschöpft aus. Tatsächlich zeigt sie überhaupt nicht viele natürliche Reaktionen auf das was um sie herum geschieht.
 
Ob Owen Wilson seine Szenen als Auggies Vater Nate tatsächlich zusammen mit den anderen Schauspielern zur gleichen Zeit aufgenommen hat, ist zumindest fraglich. Wahrscheinlich hat man hier einfach einige seiner entfallenen Szenen aus "Marley & Ich" verwendet. Falls das so sein sollte, hätten sich die Techniker wirklich ein bisschen mehr Mühe geben können. Peter Cushing und Carrie Fisher in "Rogue One" haben überzeugender gewirkt, als Wilson in diesem Film.
 
Izabela Vidovic spielt Auggies Schwester Via. Eine komplett künstliche Figur halbwegs natürlich zu spielen, ist eine beachtliche Leistung. Hoffentlich sehen wir die junge Dame bald in einer besser geschriebenen Rolle wieder.
 
Sonia Braga ist in einer einzigen Szene als Großmutter zu sehen. Ob die brasilianische Schauspielerin die Mutter von Julian Roberts oder die des blonden, blauäugigen Owen Wilson sein soll, ist nebensächlich. Wichtig ist, dass sie jeden Film durch ihre Mitwirkung aufwertet.
 
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Fazit
 
Geschichten wie "Wunder" werden von Hollywood alle paar Jahre erzählt. Peter Bogdanovich hat vor gut dreißig Jahren mit "Die Maske" ein Meisterwerk geschaffen. "Jack" von Francis Ford Coppola war vor zwanzig Jahren kaum zu ertragen. "Wunder" liegt zwischen diesen beiden Filmen ziemlich genau in der Mitte.
 
 
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